Liebe Genossinnen und Genossen,
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir sind heute hier um der 1600 Menschen zu gedenken, die die
SS zwischen dem 2. und 9. Februar 1945 vom KZ Außenlager Lieberose über Goyatz,
Kuschow, Teupitz, Zossen, Ludwigsfelde, Potsdam und Falkensee nach
Sachsenhausen trieb. Doch ich möchte damit beginnen zunächst einen Blick auf
diejenigen zu richten, die von den durchlebten Torturen zu geschwächt waren, um
mit auf einen der unzähligen Todesmärsche gezwungen zu werden.
Das sog. „Arbeitslager Lieberose“ existierte zwischen 1943 und 1945 in Jamlitz.
Es war ein Außenlager des KZ Sachsenhausen und dennoch kam der größte Anteil
der Häftlinge aus Groß – Rosen bzw. ab Juni 1944 aus Auschwitz nach Lieberose.
Andreas Weigelt gibt an, dass insgesamt ca. 11.000 Menschen in Jamlitz
inhaftiert und Lieberose damit seiner Kenntnis nach das zweitgrößte jüdische
der insgesamt 130 KZ – Außenlager im „Reichsgebiet“ gewesen sei. Des Weiteren
schildert er, dass der Krankenstand und die Sterblichkeit in keinem anderen
Außenlager Sachsenhausens so hoch gewesen sei wie in Lieberose. Er schreibt:
„Im Sommer 1944, also nur kurze Zeit nach Ankunft des ersten Massentransports
aus Auschwitz, wurden in Jamlitz Schonungsblocks
eingerichtet. Die Zahl der arbeitsunfähigen Häftlinge nahm ständig zu und die
in den völlig einrichtungslosen Schonungsblocks vegetierenden Häftlinge wurden
in bestimmten Abständen in die Krematorien nach Birkenau gebracht. Nur etwa 20%
aller Häftlinge haben die Auflösung des Lagers im Februar 1945 überlebt.“
Ende Januar 1945 befanden sich vermutlich noch ca. 3.500 Häftlinge in
Lieberose. 700 von ihnen wurden bereits am 1. Februar in offenen Güterwaggons abtransportiert
und sollen über Falkensee nach Sachsenhausen gelangt sein, wo sie ermordet wurden.
Am 2. Februar, als die 1600 Häftlinge auf den Todesmarsch getrieben wurden, blieben
noch ca. 1300 Menschen in den sog. Schonungsblocks zurück. Die SS überließ die
Menschen, die sie zuvor vom Rest des Lagers durch Errichtung eines
Stacheldrahtzaunes abgetrennt hatte, jedoch nicht ihrem Schicksal. Es erfolgte
der Befehl zu einer „Sonderbehandlung“ – einer der unzähligen euphemistischen
Begriffe der Faschisten, der nichts anderes bedeutete als die Massenexekution
der geschwächten und kranken Häftlinge. Alle im Lager verbliebenen Männer der
Lager SS, Angehörige des SS – Bauhofes und das SS – Wachbataillons sollen sich
an den Exekutionen zwischen dem 2. Und 4. Februar beteiligt haben. Sie
erschossen die Gefangenen zum Teil noch in den „Schonungsblocks“ und zwischen
den Baracken. Die Häftlinge versuchten sich in ihrer ausweglosen Situation zur
Wehr zu setzen und verletzten den Lagerführer Kersten dabei lebensgefährlich.
Er überlebte jedoch während alle Häftlinge ermordet und in z.T. bis vor wenigen
Jahren unentdeckten Massengräbern auf dem Lagergelände und in dessen Umgebung
verscharrt wurden.
Auch viele der auf den Todesmarsch Getriebenen erreichten Sachsenhausen nicht.
Fliehende und vor Entkräftung zusammenbrechende Häftlinge wurden auf dem Weg
erschossen. Doch auch in Sachsenhausen gingen die Selektionen und Ermordungen
weiter. In den Tagen nach Ankunft der Kolonne wurden etwa 400 jüdische
Häftlinge auf dem Industriehof ermordet. Die meisten der ca. 1000 noch in
Sachsenhausen lebenden jüdischen Häftlinge wurden im Laufe des Februars in das
KZ Mauthausen gebracht. Nach weiteren Exekutionen und dem Versuch der SS ihre
Spuren zu verwischen wurde das KZ Mauthausen Anfang Mai befreit. Im Unterschied
dazu begann die SS Sachsenhausen in den Morgenstunden des 21. April zu räumen,
als die Rote Armee nahte. 33.000 Häftlinge wurden auf einen weiteren
Todesmarsch Richtung Nordwesten geschickt, den Tausende nicht überlebten.
Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
es gibt keine Worte um die Grausamkeit und Unmenschlichkeit der Nazis angemessen zu beschreiben und doch müssen wir drüber reden. Wie viele von euch habe ich mich in der Vergangenheit mit unterschiedlichsten Aspekten des Holocaust beschäftigt und merke doch immer wieder, z.B an dem Schicksal der KZ Häftlinge von Lieberose, wie wenig ich eigentlich weiß. Und ich stelle mir die Frage: wie soll das künftig werden, wenn immer weniger Überlebende vom Faschismus zeugen können? Schon heute erleben wir, dass Gedenkveranstaltungen ritualisiert werden und zu bloßen Lippenbekenntnissen verkommen. Die tatsächliche Auseinandersetzung mit den Lehren des Faschismus gerät in den Hintergrund. Umso positiver stimmt es mich, dass ihr heute alle hier seid – an einem Tag, der in keinem staatlichen Gedenkkalender vorkommt und an einem Ort, der uns daran erinnert, dass die Taten der Nazis nicht unsichtbar waren, sondern vor den Augen der deutschen Mehrheitsgesellschaft stattfanden. Ich glaube, es wird uns nur gelingen gegen das Vergessen zu gewinnen, wenn wir so wie heute zeigen, dass die Verbrechen der Nazis nicht auf einzelne Orte, heutige Gedenkstätten, beschränkt gewesen sind. Wenn wir uns und künftigen Generationen vergegenwärtigen, dass die systematische Vernichtung von Bevölkerungsgruppen nicht in Auschwitz begann, sondern in jedem einzelnen Ort ihren Anfang genommen oder ihren Ausdruck gefunden haben. In diesem Sinne:
gegen das Vergessen!
Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus!